Mittwoch, 19. Mai 2010

Der märkische Landmann

Waren Sie schon einmal im Berliner Umland? Ist Ihnen aufgefallen, dass dort die Uhren langsamer ticken? Dort kann es Ihnen passieren, dass Sie kurz vor Ladenschluss in einen Supermarkt rennen um noch Brot und Butter zu bekommen und dann die einzige Person vor Ihnen an der Kasse mit der Kassiererin folgendes Gespräch führt: "Na Frau Hämmerlein, wie geht's denn so?" "Der Enrico geht ja jetzt auch in die Stadt und die Sandy hat jetzt einen Ausbildungsplatz." "Ach, dass das noch geklappt hat - na irgendwann werden Sie alle vernünftig. Ich war ja gestern wieder bei Dr. Brecher, habe neue Tabletten verschrieben bekommen. Die alten haben mich immer ganz schwummerig gemacht ..." na usw. Dieses Gespräch dauerte gefühlte 30 Minuten - zum Wahnsinnigwerden! Dazu muss man nicht mal weit raus in die Mark, schon hinter der Stadtgrenze macht sich Einsteins Relativität der Zeit bemerkbar. Eingebettet in der allgemeinen Langsamkeit des Seins mag das noch erträglich sein. So richtig kritisch wird es wenn zwei Welten aufeinander treffen, sprich: der Landmann in die große Stadt fährt. Dabei muss man den jungen und den alten Landmann unterscheiden. Der ältere Landmann ist schon in der S-Bahn leicht an seinem frischen Gesichtsausdruck zu erkennen. Das frisch gewaschene Flanellhemd zu den Manchester-Hosen bzw. die feine Bluse zum blauen Rock tun ihr übriges.
Am Zielbahnhof (z.B. Ostkreuz) angekommen droht das erste Unheil: mitten in der Rush-Hour entsteigt er langsam der S-Bahn und ... bleibt stehen! Der irgendwie funktionierende Strom der ein- und aussteigenden Passagiere wird jäh unterbrochen! Durch die auf ihn auflaufenden Passanten fühlt sich der Landmann durch den städtischen Trubel belästigt ohne zu merken, dass er das Problem, der Brückenpfeiler in der Strömung ist.
Nachdem er beide Wegweiser-Schilder erfasst und verstanden hat, macht er sich auf den Weg zum Ziel. Dabei betritt er zielsicher die Treppe gegen die Strömung. Im Kaufhaus angekommen lässt man ihm keine Wahl: die Rolltreppe fährt nur in eine Richtung: entweder hoch oder runter.
Doch diese Rechnung hat man ohne den Landmann gemacht. Gerade der Rolltreppe entstiegen, von der großen Warenwelt überwältigt, durch Licht und Spiegel irritiert tut er das Sicherste: er bleibt stehen! Unmassen an Rolltreppen-Nachkömmlingen schieben ihn mit massiver Kraft weiter. Und so weiter, und so weiter.
Dann gibt es ja noch die jungen märkischen Landmänner und -frauen: die Kevins, Enricos oder Renès bzw. die Sandys, Cindys, Nancys und Mandys.
Aber das ist wohl ein extra Thema.
Demnächst mal wieder.
Es grüßt
der Punkgraf